Soldatenfriedhof

Heinz Huck. Du wurdest 18 Jahre alt. Ich kenne Dich nicht. Aber ich kniete vor Deinem Grab und war zutiefst berührt. Ich spürte einen tiefen Schmerz, ob Deines kurzen Lebens und eine ebenso tiefe Trauer. Warum und wofür bist Du so jung im Krieg gestorben?

18 Jahre ist auch mein ältester Sohn Philipp. Er wächst auf, ohne Durst und ohne Hunger, ohne Krieg und Entbehrung. Mangel ist ihm fremd. Die Welt steht ihm offen. Ob er es zu würdigen weiss, kann ich nicht sagen. Wie sollte er. Schon meiner Generation hat es an Nichts gemangelt.

Wohl hatte ich Eltern die den Krieg noch miterlebt haben, Jahrgang 1925 und 1928. Also Altersgenossen von Dir, Heinz Huck. Sie erzählten nicht viel über diese Zeit, aber man konnte spüren das es kein Sonntagsspaziergang gewesen ist. So meine ich noch einiges mitbekommen zu haben von den Schrecken des Krieges.

Mein Vater, knapp zu jung um als Soldat zu dienen, aber Flakhelfer in den Niederlanden, erzählte von der Angst das Haus zu verlassen, von Erkundungen um etwas Essbares zu ergattern aus zerbombten Kellern. Er wusste wo noch eine Wasserleitung tropfte um dort etwas zu zapfen. Er erlebte wie Feuerstürme durch die Straße fegten und sie versuchten das Haus zu schützen. Zinkeimer als Schutz gegen die Hitze über die Unterarme gestülpt, liefen sie zum Löschbecken. Er erlebte wie sein Vater beim Kartoffelfringsen mitgenommen und er, weil zu jung laufengelassen wurde. Er wußte nicht was mit seinem Vater passiert. Zwei Wochen verließ er nicht das Haus. Letztendlich hat ihn ungehorsam das Leben gerettet, da er und ein Kumpan verbotener Weise, einen Abstecher nach Krefeld zur Familie machten anstatt direkt zur Flak-Stellung zurück zu kehren. Die Stellung wurde ausradiert, mein Vater aufgrund eines Missverständnisses noch als HJ-Jugendlicher mit Essensmarken versorgt und damit offiziell registriert. Vieles hat er mir glaube ich nicht erzählt. Erst als er nach einer Narkose länger verwirrt war, schimmerten Emotionen und Ängste durch. Darüber hatte er bis dato nie gesprochen. Er erzählte immer als wenn das Alles ein, wenn auch ernstes Abenteuer gewesen wäre. In der Demenz erst war die Furcht und Verzweiflung zu spüren. Als er wieder bei Sinnen war, war davon leider nichts mehr zu spüren. Er wird seine Gründe gehabt haben, der Schmerz zu tief und gefährlich gewesen sein, wer weiss.

 

Meine Mutter wurde in Ostpreußen geboren und ist mit ihren Eltern nach Berlin gegangen. Ihr Vater war beim Stab, was genau weiß ich gerade leider nicht. Meine Mutter war Lagermädelführerin in der Kinderlandverschickung. Eine Zeit über die sie mit großem Stolz berichtete, leider hab ich damals nicht genau genug zugehört…..deshalb bin ich mir mit vielen zeitlichen Abläufen nicht sicher, auch einige Begrifflichkeiten mögen fehlerhaft sein. Sie war, obwohl nur wenig älter als die Kinder/Jugendlichen, eine wichtige Bezugsperson was sie sehr genoss. Als sich der Krieg zuspitzte schickten ihre Eltern sie allein mit einem Verwandten über Eutin ins Rheinland, größtenteils zu Fuß! Dort arbeitete sie bei einem Bauern. Wie sie später nach Krefeld kam weiß ich leider nicht mehr. Dort fing sie auf jeden Fall eine Ausbildung zur Industriekauffrau an und beendete diese auch.

Die Schrecken die sie erlebt hat, wurden so wirklich, nur einmal für mich sichtbar. Ein Propellerflugzeug überflog Nachts, warum auch immer, unser Haus. Wir wurden davon wach. Noch nie habe ich meine Mutter so voller Angst gesehen wie damals. Das Geräusch erinnerte sie an die Jagdflieger…..

Ihre Mutter wurde im Krieg mehrfach vergewaltigt. Sie kamen später nach Krefeld wo sie in meinem Elternhaus lebten. Allerdings kenne ich nur noch meinen Opa. Dieser starb als ich 5 war. Er war ein ganz gütiger, lieber Mensch, zumindest habe ich das für mich so abgespeichert.

Meine Oma väterlicher seits habe ich noch recht lange erleben dürfen. Sie starb als ich 18 war. Geboren wurde sie Ende des 19 Jahrhunderts und hat beide Weltkriege erlebt. Sie war eine stattliche, würdevolle Erscheinung. Ich kann mich an keine Erzählung ihrerseits über die Kriege erinnern. Sie war in Brighton, davon erzählte sie. Über Gefühle glaube ich nicht. Ich erinnere mich zumindest nicht.

Was übrig bleibt ist ein Gefühl. Ein Gefühl zu dem Schmerz den diese mir nahe stehenden Menschen erlebt haben müssen. Der nie ausgesprochen wurde, wenn dann nur angedeutet und sofort weggewischt.

Aber ich habe ihn aufgenommen diesen Schmerz und manchmal spüre ich ihn. Zum Beispiel wenn ich an Deinem Grab stehe, Heinz Huck. Dann spüre ich den Schmerz und das Leid und ein Verlangen alle Gepeinigten zu umarmen und ihnen Frieden zu geben. Sie zu schützen ihnen Kraft zu geben über ihre Gefühle zu reden und sich zu befreien.

Aber ich bin dann meiner Eltern Sohn. Verdrängen liegt mir sehr. Scheu lächerlich zu sein, verletzbar zu sein, lässt mich wieder verschwinden.

Heinz Huck, ich kenne Dich nicht, aber ich danke Dir von Herzen. Durch Menschen wie Dich, dringe ich zu mir vor, zu meiner Liebe, Güte und meinem Sein.

Ich wünsche mir sehr das meinen Kindern solches Leid erspart bleibt, wie es Dir passiert ist. So sehr ich meine Eltern „verflucht“ habe wegen ihrer emotionalen Funkstille, so haben sie mir doch vieles mitgegeben und ich hoffe ich kann meinen Kindern mitgeben was sie brauchen. Das Bewusstsein und Respekt für den Wert und der Fragilität von Allem was ist.

Ich weiß nicht ob es mir gelingt, aber es spielt auch keine Rolle. Wichtig ist das ich für mich erkannt habe was ist. Wichtig ist das ich auf dem Weg bin.

Heinz Huck, Du bist früh gestorben, aber nicht umsonst.